Eine faszinierende Geschichte... Heilige Schrift und Kirche

Vt. Barnabas Lambropoulos

Viele Neuprotestanten und Pentekosten bekennen in ihren unterschiedlichsten Zeitschriften die historische Begebenheit, dass der Bibelkanon von der Kirche im 4.Jahrhundert verabschiedet wurde.

Das wirft die Frage auf, ob es nicht zumindest einen logischen Rückschluss darstellt, die Kirche jener Zeit wahrlich als „Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ (A.Tim 3,15) zu akzeptieren. Denn wie könnten wir sonst den Bibelkanon tatsächlich als richtig ansehen? Weshalb sind jedoch die Lehren der oben genannten Gruppierungen so anders als die der Kirche in jener Zeit?

De Heilige Schrift ist tatsächlich nicht eine SAMMLUNG aller erhaltenen Texte, die über die Offenbarung Gottes sprechen, sondern eine SELEKTION einiger dieser Texte. Welcher? Der Texte, die als authentisch verifiziert wurden, weil sie in einer Gemeinde liturgisch genutzt wurden. In welcher Gemeinde? In einer Gemeinde mit spezifischen Identitätsmerkmalen, die über Geschichte, Hierarchie und offensichtlichen Kriterien ununterbrochener Nachfolge und Einigkeit verfügte.

Und nach welchen Kriterien wählte die Gemeinde die Bücher der Heiligen Schrift? Offenbar nach dem Kriterium, auf das sich Apostel Johannes bezieht: „dass ihr glaubet, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes, und dass ihr durch den Glauben das Leben habet in seinem Namen“ (Joh 20,30-31). Diese Wahl erfüllte demnach einem bestimmten Zweck.  

Es wurde unter mehreren texten gewählt, die infolge den Gläubigen ausgehändigt wurden; dabei handelte es sich nunmehr um eine einheitliche, zulässige Ausgabe des Gotteswortes handelte. Die Botschaft ist heilig. Sie stammt von Gott. Aber diese bestimmte Glaubensgemeinde ist es, die das gepredigte Wort anerkennt und die Wahrheit dieses bekennt.

Da nämlich die Heilige Schrift, in geschriebener Form, innerhalb der Kirche verfasst wurde, und zwar in erster Linie, um die Lehre dieser Gemeinde zu erhalten, ist es vernünftig zu behaupten, dass nicht die Heilige Schrift die Gemeinde gebar, sondern vielmehr die Kirche die Heilige Schrift. Die Kirche stellt die Mutter dar, während die Heilige Schrift das Kind ist. Aus diesem Grund kann und sollte die Heilige Schrift nicht getrennt von der Kirche behandelt werden.   

Tertullian hatte demnach Recht, als er sprach: De praescriptione haereticorum, denn er war keinesfalls bereit dazu, Glaubensthemen mit Häretikern zu besprechen, indem auf die Bibel Bezug genommen wurde. Da die Heilige Schrift zur Kirche gehört, ist der Bezug der Häretiker auf sie unzulässig. Auf Fremdbesitz kann man nicht zugreifen.

Im Hinblick auf diese Problematik schrieb auch der entschiedene Prediger Dimitrios Panagopoulos: Sollen die Protestanten uns doch sagen, an welcher Stelle im Neuen Testament erwähnt wird, dass es aus 27 Büchern bestehe. Nirgends ist solches vorzufinden! Woher wissen wir es dennoch? Die Überlieferung der Kirche hat es uns gelehrt, die ihr nicht akzeptieren wollt. Kann es ein Kind ohne Mutter geben? Wie kann es sein, dass ihr das Kind annehmt, das Neue Testament, aber die Mutter, die Überlieferung, als Authentizität ablehnt? (Antievangelische und Evangelische, S.26)

Es ist fürwahr bizarr, die Entscheidung der Kirche über den Bibelkanon im 4.Jahrhundert anzuerkennen und gleichzeitig die Kirche selbst als „abtrünnig“ zu bewerten.  

Wie kann es sein, dass eine Kirche, die abtrünnig ist, eine richtige Entscheidung in einem so kritischen Thema wie ihrer „Kartografie“ zu fällen? Kartografie nennt man diesen Beschluss auch, da es sich dabei um die zweifelsfreie Festlegung der Karte des Christentums handelt, um die endgültige Wahl der Bücher der Heiligen Schrift. Und wie kann es sein, dass eine angeblich abtrünnige Kirche eine so große Schar an Märtyrern und Bekennern zu verweisen hat?  Nach welchen Kriterien wird von einigen das „Goldene Zeitalter“ des Christentums als abtrünnig betitelt?

Der älteste umfangreiche Verzeichnis der 27 Bücher des Neuen Testaments stammt vom Jahre 367 n.Chr., verfasst von der Feder des Großen Athanasios. Dies bedeutet, dass das erste umfangreiche Verzeichnis der Bücher des Neuen Testaments erst ungefähr 300 Jahre nach Beginn des Verfassens der ersten Evangelien in Erscheinung trat...

In seinem Buch „The Quest of Orthodox Faith in the Age of False Religion“, welches von Archimandrit Augustinos Myrou (Kozani, Griechenland) übersetzt wurde, behauptet der frühere Protestant Frank Schaeffer, dass die Geschichte des Bibelkanons eine überaus faszinierende ist, die sehr wichtig für das Verständnis sowohl der Heiligen Schrift, als auch der Kirche ist. Denn durch diese geschichtlichen Ereignisse wird deutlich, dass die Mutter (d.h. die Kirche) und ihre Tochter (d.h. die Heilige Schrift) mindestens 300 Jahre Altersunterschied haben. Die Mutter trug in ihrem Bauch die Tochter für mindestens 300! Und dabei handelt es sich um ein unanzweifelbares Ereignis. Selbst die Protestanten können es zwar totschweigen oder ignorieren, aber dennoch nicht in Frage stellen.  

Wenn, schlussfolgernd, für die Protestanten die Heilige Schrift autark und eigenständig ist, wenn sie den Vorläufer darstellt und über der Kirche steht, wenn die die Schrift der Kirche Leben spendet, sie erhält und interpretiert, und nicht die Kirche die Schrift, so handelt es sich – zumindest medizinisch gesprochen – um eine Monstrosität: Denn dann würde ein noch nicht vollständig unentwickelter Embryo über 300 Jahre hinweg seine schwangere Mutter genährt und erhalten haben!  


Quelle: Zeitschrift „Dialog“, Ausgabe 22, 2000

Übersetzung: Alexia Ghika- Kyriazi


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