Hl. Nikolai Velimirović, Bischof von Ochrid
 
 
Häretische Theologen [1]

"Dort wo die Abwesenheit Christi am größten ist,
 hat das Gemeine und Barbarische die Übermacht"

In unserer Zeit haben die häretischen "Kirchen" Wehrmauern errichtet um das Evangelium, wobei sie Gebrauch machen von wissenschaftlichen Theorien und viele von diesen als etwas Gültiges akzeptieren. Und das, obwohl die größten Wissenschafter der Gegenwart aufgehört haben, selbst das positive Wissen als etwas Gültiges zu betrachten, nicht zu reden von den Theorien.

So wie die Soldaten des Pilatus dem Herrn Jesus billigen Purpur anlegten und Herodes Ihm ein weißes Gewand anzog, so auch haben die häretischen Theologen dem Erlöser den billigen Mantel der heidnischen Philosophie und der Pseudowissenschaft umgehängt, um Ihn so angeblich zu kleiden und schöner zu schmücken! Doch in beiden Fällen wird Christus gleicherweise beleidigt und gedemütigt.

Die Orthodoxe Kirche ist die einzige Kirche der Welt, die den Glauben an das Evangelium als die einzige absolute Wahrheit bewahrt hat, die Wahrheit, die weder irgendeiner Verteidigung noch irgendeiner Stützung durch irgendwelche weltliche Philosophien oder Wissenschaften bedarf. Wenn wir daher den neunten Artikel des Glaubensbekenntnisses hersagen: "Und an eine Einzige, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche",  meinen wir damit die Orthodoxe Kirche.

Die häretischen Theologen haben die Orthodoxe Kirche verächtlich als "versteinerte Kirche" bezeichnet (Harnack in: "Das Wesen des Christentums"). Warum das? Weil, so sagen sie, diese Kirche "nicht Schritt hält mit ihrer Zeit", und sich "nicht ihrer Zeit anpaßt"! Doch gerade das ist der Ruhm der Orthodoxie, dass sie nicht mit jeder Epoche gleichzieht und sich ihr nicht anpaßt, dem Wort des Apostels Paulus folgend: "Macht euch nicht die Art dieser Welt zu eigen" (Röm 12,2).

Wie könnte das Ewige Schritt halten mit der Zeit? Wie könnte das Absolute sich anpassen an das, was vergeht? Wie könnte das Reich der Himmel zusammengebracht werden mit dem Reich dieser Welt und das Kostbare mit dem Minderwertigen? Die ganze Welt liegt im Bösen  (1 Joh 5,19), wie also könnten wir mit Hilfe des Bösen das ewige Gute befestigen und stützen? Wie könnten wir das Himmlische Licht stärken mit den rauchigen Flammen des Kohlenfeuers und des brennenden Petrols?

Es gibt freilich auch in der Orthodoxen Kirche einige Theologen, die den Spuren der häretischen Theologen folgen und der Meinung sind, das Evangelium sei nicht mächtig genug, um sich selbst zu bewahren und zu verteidigen inmitten des Sturms dieser Welt. Sie selbst stützen sich auf häretische Theorien und häretische Methoden. Mit ihrer ganzen Seele stehen sie an der Seite der Häretiker, doch äußerlich bleiben sie verbunden mit der Orthodoxen Kirche, allerdings nur gerade soweit, wie nötig ist, um sich zu erhalten. Es sind jene sogenannten  echten Balkaner, denen alles, was außerhalb und jenseits des Zauns liegt, besser und weiser scheint als das, das innerhalb liegt – sogar noch die Theologie der Kompromisse, des Gemischs (anders gesagt: der Paganochristologie).

Die Orthodoxe Kirche als Ganze verwirft solche Theologen und anerkennt sie nicht als die ihrigen. Doch sie duldet sie, und das aus zwei Gründen. Erstens weil sie auf ihre Umkehr und Sinnesänderung hofft,  und zweitens weil sie vermeiden will, dass durch ihre Ausstoßung das Übel noch größer wird, das heißt dass jene in die abgründige Umarmung der Häretiker getrieben werden. Damit würden diese nicht  nur die Zahl der Häretiker vermehren, sondern auch andere Seelen mitreißen in ihr Verderben. Solche Theologen sind nicht Träger der orthodoxen Gesinnung und des orthodoxen Bewußtseins, sondern kranke Glieder des kirchlichen Leibs (s. 1 Kor 12,26). Die Träger der orthodoxen Gesinnung und des orthodoxen Bewußtseins sind das Volk, das Mönchtum und die Gemeindepriester.

Unser Herr der Herrlichkeit hat gesagt: "Ehre von Menschen nehme Ich nicht an" (Joh 5,41). Der Standpunkt der Häretiker ist demjenigen des Welterlösers genau entgegengesetzt. Jene streben nach der Ehre der Menschen. Sie fürchten die Menschen. Deshalb auch hängen sie sich an die sogenannten "Glorreichen" der Menschheitsgeschichte, um das Evangelium zu "stützen" und den Menschen dieser Welt besser zu gefallen. Und sie rechtfertigen dies, indem sie sagen: "Wir tun es, um jene zu gewinnen!" O wie sehr täuschen sie sich selbst! Denn  je mehr sie der Welt schmeicheln, - angeblich um die Welt zur Kirche zu ziehen -, desto weiter entfernt sich diese umschmeichelte Welt von der Kirche. Je mehr sie die "Aufgeklärten" spielen, die "Offenen" und "Zeitgemäßen", desto mehr verachtet sie die Welt. In Wirklichkeit ist es unmöglich, zugleich Gott und den Menschen zu gefallen. Im übrigen weiß jeder erfahrene Christ, dass es bis zu einem gewissen Grad möglich ist, Gott durch Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit zu gefallen, doch der Welt kann man in keiner Weise gefallen, weder durch Wahrhaftigkeit noch durch Lüge, weder durch Gerechtigkeit noch durch Ungerechtigkeit. Denn Gott ist ewig und unwandelbar, die Welt hingegen vergänglich und ständigem Wandel unterworfen.

Unser Herr der Herrlichkeit hat ferner gesagt: "Wie könnt ihr glauben, da ihr Ehre annehmt voneinander und nicht nach der Ehre strebt, die von Gott allein kommt?" (Joh 5,44). Ein Wort, das zur Gänze zutrifft auf die häretischen Theologen und ihre Verfassung vollauf erklärt als Urteil Gottes gegen sie. Denn wenn sie nach der Ehre strebten, die von Gott kommt, würden sie auch an das Evangelium Gottes glauben und dann würden sie weder nach rechts noch nach links abweichen. Doch sie begehren die Ehre und das Lob der Menschen, und deshalb sind sie bemüht, das Zeugnis Gottes durch menschliche Zeugnisse zu belegen und zu stützen. Solches ist sowohl sündig als auch verfehlt. Und es wäre es auch dann, wenn jene die Ehre der Menschen nicht für sich persönlich begehrten, sondern für ihre "Kirche". Denn es bedeutet Beleidigung des Allerhöchsten, Sein Zeugnis durch menschliche  Zeugnisse belegen zu wollen, das heißt sich als Menschen anheischig zu machen, zu beweisen, was Gott sagt!

Welche Folgen hat eine solche häretische Einstellung? Katastrophale Folgen! Wahrhaftig katastrophale Folgen für das Evangelium und katastrophale Folgen für die ganze Welt, für den Einzelnen und die Gesellschaft der Völker, die häretisch sind. Katastrophale Folgen für den Glauben, für die Kultur, die Wirtschaft, die Politik, die Ehe, für alles und in allem. Denn die Art unserer Beziehung zu Christus bestimmt mit mathematischer Genauigkeit all unsere anderen Beziehungen, mit allen und in allem.

Während Christus sagt: "Ohne Mich könnt ihr nichts tun" (Joh 15,5), drückt die häretische Welt auf tausenderlei Weisen folgenden Gedanken aus: "Ohne Christus können wir alles tun." Die ganze zeitgenössische Kultur ist gegen Christus gerichtet. Alle modernen Wissenschaften wetteifern darum, der Lehre Christi den härtesten Schlag zu versetzen. Es ist die Rebellion der gemeinen Dienerinnen gegen ihre Herrin. Es ist die Rebellion der weltlichen Wissenschaft gegen die himmlische Wissenschaft Christi. Doch diese ganze Rebellion mündet in unseren Tagen in das, was geschrieben steht, und zwar mit aller Deutlichkeit: "Jene, die sich brüsteten, Weise zu sein, sind zu Toren geworden" (Röm 1,22).

Wahrlich, wer vermöchte zu sagen, wo die heutige Welt, die abgefallen ist von Christus, ihre größte Torheit zeigt: im persönlichen Leben des Unverheirateten oder in der Ehe? In der Schule oder in der Politik? in den wirtschaftlichen Strukturen oder in den gesetzlichen Verordnungen? Im Krieg oder im Frieden? Überall sieht man das, was wir gemein und barbarisch nennen. Dort wo die Abwesenheit Christi am größten ist, hat das Gemeine und Barbarische die Übermacht. Die Lüge und die Gewalt triumphieren.

Die häretischen Theologen und die Vorsteher der häretischen "Kirchen", die sich im Namen Christi zu Herren und Führern über alle Völker der Erde gemacht haben, sollten sich schämen. Sie haben jeden Grund, sich zu schämen. Denn wie neue unverständige Galater sind sie jetzt ganz ins Fleischliche abgeglitten, nachdem sie im Geist begonnen hatten – "O ihr unverständigen Galater, seid ihr wirklich so töricht? Nachdem ihr im Geist begonnen hattet, endet ihr nun im Fleisch?" (s. Gal 3,1-3). Sie tragen die Hauptverantwortung dafür, dass ihre Völker abwichen vom rechten Weg und anfingen, auf beiden Beinen zu hinken, indem sie abwechselnd Gott in Jerusalem und die goldenen Kälber in Samaria anbeteten. 

So wie einst die ungläubigen Hebräer die Gebote Gottes eins nach dem anderen niedertraten und gemäß den Begierden der Welt und ihrer eigenen Herzen wandelten, so auch haben es jetzt jene getan mit der Lehre Christi, der höchsten aller Lehren. Ein Dogma nach dem anderen haben sie abgewertet und aufgehoben, die evangelischen Gebote abgeschafft, die apostolischen und heiligväterlichen Verordnungen verworfen, die Worte der Heiligen  verlacht und ihre asketischen Großtaten als Mythen abgetan.

Den härtesten Schlag, den die häretischen Theologen dem Evangelium zu versetzen vermochten, war dies, dass sie die Göttlichkeit des Welterlösers in Frage stellten, wobei die einen bloß daran zweifelten, während andere sie zur Gänze verwarfen. Darauf folgte eine ganze Serie von Leugnungen geistiger Wahrheiten wie die Existenz der Engel und der Dämonen, des Paradieses und der Hölle, der ewigen Herrlichkeit der Heiligen und Gerechten, der Macht des Kreuzes, des Werts des Gebets, des Nutzens des Fastens usw.

Um es kurz zu sagen: Von der Abspaltung des Westens vom Osten an haben sich die häretischen Theologen mit Anpassungen und Angleichungen befaßt, doch besonders intensiv in den letzten 150 Jahren. Sie haben den Himmel der Erde angeglichen, Christus den anderen "Religionsgründern" und die Frohe Botschaft den anderen Religionen, der israelitischen, der mohammedanischen und den heidnischen. All das angeblich im Namen der "Toleranz" und "zum Nutzen des Friedens" unter den Menschen und den Völkern. Doch genau hier liegt der Ursprung und die Ursache von Kriegen und Revolutionen, wie es sie in der Weltgeschichte nie zuvor gegeben hatte. Denn die Wahrheit läßt sich in keiner Weise vereinen mit der Halbwahrheit und der Lüge.

Die theosophische Ansicht, wonach die Wahrheit sich verstreut finde in allen Religionen, Philosophien und Einweihungsriten, hat auch die häretischen Theologen der westlichen Welt übermannt. Nun sagen sie, dass folglich auch im Christentum eine gewisse Dosis Wahrheit vorhanden sein müsse, geradeso wie im Islam, im Hinduismus oder Brahmanismus, bei Platon und Aristoteles, im Zend-Avesta, den Tantras und Mantras des Tibets usw. Doch wäre dem so, würde die Arche der Menschheit ohne Hoffnung auf dem dunklen Ozean des Lebens umherschaukeln, ohne Richtung und ohne Kapitän.  

Quelle: http://www.prodromos-verlag.de/

[1] Aus dem Sammelband  Εμπνευσμένα Κείμενα Ορθoδóξου Πνευματικότητος  ("Inspirierte Texte orthodoxer Spiritualität"), Verlag Orthodoxos Kypseli, Thessaloniki. Der vorliegende Text,  geschrieben 1956, wurde aus dem Griechischen übersetzt vom Kloster des Hl. Johannes d. Vorläufers, Chania 2012. 


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