Hl. Nikolaj Velimirović
Was vor Christus war[1]
Obwohl Ihr selbst Christ seid, fragt Ihr: "Da die Christen von Christus als Mittelpunkt und Achse der Menschheitsgeschichte reden - was war denn in der Welt vor dem Erscheinen Christi?" Wie ich sehe, seid Ihr ein belesener und gutgeneigter Mann, und deshalb glaube ich, dass Euch alles klar werden wird, wenn Ihr ein wenig tiefer eindringt in die Wissenschaft des christlichen Glaubens.
Es wird Euch klar werden, dass vor Christus wiederum Christus war. Ferner dass nach dem Ende der Welt abermals Christus sein wird. Das heißt, vor dem Erscheinen des Logos Gottes, der Weisheit Gottes, des ewigen Logos, im menschlichen Körper, zum Heilswerk auf Erden in Seiner eigenen Person, war jener selbe Logos Gottes, jene selbe Weisheit Gottes, jener selbe ewige Logos der göttlichen Dreiheit, zwar nicht im Fleisch erscheinend, doch unermüdlich wirkend vermittels auserwählter Menschen, Seiner Diener - der Propheten, der Gerechten und der Weisen. Alle diese nannten sich selbst Diener Gottes. Christus ist nicht Diener, sondern der Sohn. Er ist nicht ein Soldat des Königs, sondern der König Selbst. Er ist nicht ein Vorläufer, sondern der Messias.
Gewiß habt Ihr im Theater irgendein Stück gesehen, wo die Hauptperson nicht von Anfang in Erscheinung tritt, sondern erst später. Doch alle Personen, die vor derselben auf der Bühne erscheinen, erwarten sie, künden sie an, und was immer geschieht, deutet hin auf sie. So verhält es sich auch im riesigen Drama der ganzen Welt. Alle erwarteten, alle deuteten hin auf den allmächtigen Messias, die Hauptperson. So nennt Ihn auch der Prophet: "Der Herr und Gott der Heerscharen wird hervortreten" (Is 42,13), "....und die Herrlichkeit des Herrn wird gesehen werden, und alles Fleisch wird schauen..." (Is 40,5). So wurde es viele Jahrhunderte im voraus prophezeit und so geschah es auch. Denn die Dimensionen des Dramas Christi, die zeitlichen ebenso wie die räumlichen, sind mehr als gigantisch.
Lest Sein Gleichnis über die bösen Winzer (Mt 21,33). Dieses wird Euch alles weit besser darlegen als ich Sterblicher. Und vernehmt auch die direkten Zeugnisse des Herrn über Sich Selbst: "Amen., Amen, Ich sage euch, ehe Abraham geboren ward, bin Ich" (Joh 8,58). Abraham aber wurde mehrere Jahrtausende vor Ihm geboren. Hört noch ein anderes Zeugnis aus Seinem eigenen Mund: Als Ihn die Juden fragten: "Du, wer bist Du?", antwortete ihnen Jesus: "Der Anfang" (Joh 8,25) [2]. So nennt Ihn der vierte Evangelist auch selbst: "Am Anfang war der Logos"
(Joh 1,1).
Und in der Vision der Offenbarung des Johannes schließlich sagt Er aus den Himmeln über Sich Selbst: "Ich bin das Alpha und das Omega, sagt der Herr und Gott, Der Ist und Der war und Der kommt, der Allherrscher" (Offb 1,8), sowie: "Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige, und Ich wurde zum Toten, doch siehe, Ich bin lebendig in die Ewen der Ewen, und Ich habe die Schlüssel des Todes und des Hades" (Offb 1,18).
Da seht Ihr mithin, dass vor Christus wiederum Christus war und dass nach Christus abermals Christus ist. Und am Ende wird Er abermals angekündet werden "mit großer Macht und Herrlichkeit" (Lk 21,27). Er wird wiederkommen, um dieses Weltdrama zum Ende zu bringen, so wie Er demselben auch Selbst den Anfang gegeben hat.
Nun werdet Ihr sagen: "Groß ist dies Mysterium!" (Eph 5,32). Ist der Schmetterling etwa ein kleines Mysterium? Wieviel größer muß dann das Mysterium des Schöpfers des Schmetterlings sein!
Frieden Euch und Freude vom Herrn Christus
[1] Dies ist Brief 116 der Sammlung von 300 Hierapostolischen Briefen des hl. Nikolaj, Bischof von Ochrid und Zica (1880-1956). Er beantwortet eine Frage des Rentners Momtsilo N. Deutsche Übersetzung aus der griech. Ausgabe der Briefe (En Plo, 4. Auflage Athen 2010) vom Kloster des Hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2011.
[2] Der hl. Nikolaj zitiert hier wörtlich nach dem griech. Text von Joh 8,25: Καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς‧ τὴν ἀρχὴν...
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